industrialisierte Landwirtschaft
Syn. industrielle Landwirtschaft; Typ von Landwirtschaft mit großskaligen, industriespezifischen Produktionsweisen und folgender Verarmung an Biodiversität. Im Rahmen von Wertschöpfungsketten ist sie auf die Verarbeitung, den Verkauf sowie Export ausgerichtet.
Kennzeichen derartiger Betriebe:
- ein hoher Spezialisierungsgrad,
- großskalige Reinkulturen in engen Fruchtfolgen,
- Monotonisierung der Flächennutzung
- die Verwendung hochmechanisierter (digitalisierter) Verfahren,
- ein hoher Kapitaleinsatz (d.h. die Substitution von Boden und menschlicher sowie tierischer Arbeitskraft),
- intensiver Anbau von Hochertragssorten,
- Einsatz großer Mengen betriebsexterner, also vom Betrieb entkoppelter Inputs (Mineraldünger, Pestizide, Gülle) und
- der Übergang zur standardisierten Massenproduktion einschließlich von Massentierhaltung,
- Entkoppelung der Futterproduktion von der Tierhaltung mit entsprechenden Fernwirkungen,
- der Bewirtschafter des landwirtschaftlichen Betriebs ist häufig nicht identisch mit den Eigentümern des Bodens,
- die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte des Betriebs sind oft familienfremde Arbeitskräfte, die nicht länger einem sozialen Familienverband angehören,
- außerlandwirtschaftliche Kapitaleigner sind oft alleinige Eigentümer der Produktionsmittel und der Anlagen für die Agrarproduktion,
- die Eigentümer des Betriebs sind nicht mehr Landwirte, ein persönlicher Bezug des Eigentümers zum Betrieb und zur ländlichen Gemeinde bzw. Region besteht oft nicht mehr,
- eine rein ökonomische Ausrichtung des Betriebs bzw. die Erzielung möglichst hoher Renditen oder Dividenden stehen im Vordergrund der betrieblichen Überlegungen.
Die Entwicklung zur industrialisierten Landwirtschaft betrifft nicht nur einige wenige, im Verlaufe dieses Prozesses entstandenen agrarindustrielle Unternehmen, sondern auch Betriebe, die sich z.B. in Familienbesitz befinden. In den USA ist dieser Prozess für die Mehrzahl der Betriebe vollzogen.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zu unterscheiden zwischen der Industrialisierung des Produktionsprozesses und der Herausbildung von Betriebsformen, die industriellen Charakter haben, eben den agrarindustriellen Unternehmen.
Ursachen des Industrialisierungsprozesses:
- Agrartechnologische Entwicklungen (Mechanisierung, Agrarchemikalien, verbessertes Saatgut, Hochleistungsfutter, verbesserte Tierarzneimittel, neue Formen der Tierhaltung, neue Lagerungs- und Transporttechnologien u.a.)
- Forschung und Beratung
- Agrarpolitik und Steuergesetzgebung (insbesondere prägend für die Entwicklung in den USA mit dem Zufluß von Fremdkapital als Folge, aber auch für manche Strukturen in Deutschland, z.B. die vertikal integrierte Legehennenhaltung in Südoldenburg)
- Konzentrationsprozesse in der nachgelagerten Industrie und im Lebensmittelhandel.
Trotz einiger Unterschiede im zeitlichen Ablauf und der Wirkung einzelner Faktoren besteht eine große Übereinstimmung in der Steuerung des Industrialisierungsprozesses der Agrarwirtschaft in den USA und der Bundesrepublik.
In den marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften ist es in Verbindung mit der Industrialisierung der Agrarwirtschaft nicht zur Ausbildung von städtischen Agglomerationen gekommen, die für die Industrie charakteristisch sind. Der Pflanzenbau bietet selbst in Regionen amerikanischer Großbetriebe zu wenige Arbeitsplätze. In der Nutztierhaltung kommt es zumeist aus seuchenhygienischen Gründen bzw. wegen der Notwendigkeit der Beseitigung und Verwertung der tierischen Exkremente nicht zu entsprechenden Verdichtungen.
Demgegenüber ist bei der Bildung von Sowchosen aus ideologischen Gründen (Auflösung der Unterschiede zwischen Landwirtschaft und Industrie) gezielt die Anlage von Agrostädten betrieben worden.
Eine Auswirkung des Industrialisierungsprozesses, die bislang in der Agrarwirtschaft nicht von großer Bedeutung war, ist die Überproduktion. Sie trat in den USA früher auf als in der EG. Folgen sind länger anhaltende Krisen mit Betriebszusammenbrüchen, zunehmende Verschuldung und eine Reduzierung der Produktionseinheiten. Durch die technologische Entwicklung werden immer neue Produktionssteigerungen möglich, so daß sich die Agrarwirtschaft in einer overproduction trap befindet.
Die beständige Reduzierung der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe als Folge des Industrialisierungsprozesses kann gravierende soziale und raumstrukturelle Folgen haben. Soziale Isolation der verbleibenden Landwirte, nahezu völlige Entleerung in manchen Gebieten, wachsende Marginalisierung der Produktionsräume und Identitätsverluste sind deutliche Entwicklungen in den USA. Vergleichbare Entwicklungen werden auch für Deutschland befürchtet.
Zu den ökologische Auswirkungen gehören in den USA vor allem Bodenerosion, Bodenversalzung sowie Einträge von Agrarchemikalien in das Grundwasser, in der Bundesrepublik vornehmlich Probleme mit der Verwendung tierischer Exkremente. Dazu treten ungelöste tierethische Fragen im Zusammenhang mit der Massentierhaltung.
Von Kritikern wird für die industrielle Landwirtschaft u. a. die Gefahr gesehen, daß landwirtschaftliche Produkte mit industriellen Werkstücken auf eine Stufe gestellt werden, die in einer Fabrik am Fließband oder mit Robotern zu jeder Zeit in gewünschter Menge hergestellt werden. Eine solche Auffassung führt zwangsläufig dazu, aus Rohstoffen, Ressourcen und Nutztieren das Äußerste herauszuholen. Die gleiche Befürchtung gilt für manche, nicht der Nachhaltigkeit verpflichtete Formen der internationalen Forstwirtschaft.
(s. a. Agribusiness)
Weitere Informationen:
- Industrielle Landwirtschaft (TAB-Arbeitsbericht Nr. 188, 2021)
- The Adverse Consequences of Industrial Agriculture (Stray Dog Institute)
- Factory Farming: Who benefits? - How a ruinous system is kept afloat (ciwf.org)
- Hidden costs of industrial agriculture (ciwf.org)