Agrarökosystem
Auch Agroökosystem; durch die Tätigkeit des Landwirts geschaffenes Nutzökosystem, bei dem die funktionale Einheit der Biosphäre als Wirkungsgefüge aus wildwachsenden Pflanzen und Kulturpflanzen, wildlebenden Tieren und vielfach aus Nutztieren besteht. Als wesentliche ökologische Variable nimmt er entscheidend Einfluss auf die Zusammensetzung, das Funktionieren, die Stabilität und die energetischen, stofflichen und informatorischen Wechselbeziehungen des Systems.
Das Agrarökosystem dient vornehmlich der Erzeugung von Nahrungsmitteln und anderen biologischen Rohstoffen. Beispiele sind ein Getreide- oder Rübenfeld, eine Viehweide oder eine Mähwiese. Grundsätzlich kann aber auch ein landwirtschaftlicher Viehbestand mit Futterversorgung und Fäkalienabfuhr als Agrarökosystem aufgefasst werden, vor allem in Verbindung mit Weidewirtschaft.
Die Leistung eines Agrarökosystems ist primär eine Funktion von Boden, Klima und Organismenbestand. Inwieweit Agrarökosysteme in Form und Funktion von unbewirtschafteten Ökosystemen abweichen, hängt von der Art und Intensität der Bewirtschaftung sowie vom Umfang der Stoffzufuhr (Düngung) und Stoffentnahme (Ernte) ab.
Bei den Organismen der Agrarökosystemen handelt es sich um die Individuen verschiedener Arten bzw. Populationen von Kultur- und Wildpflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Die Kulturpflanzen stammen von Wildpflanzen ab und sind durch die unbewusste oder gezielte Auslese bestimmter Merkmale durch den Menschen entstanden.
Die Umwelt besteht aus der Gesamtheit der Faktoren, die auf Organismen einwirken. Die verschiedenen physikalischen und chemischen Einflüsse, die von der unbelebten Umwelt ausgehen stellen die abiotischen Faktoren dar (z.B. Bodeneigenschaften, Relief, Höhenlage, Klima). Die Wirkungen der biotischen Faktoren gehen von Organismen aus und können auf die Individuen derselben Art, die Individuen einer anderen Art oder auf die abiotische Umwelt ausgeübt werden. Aus der Perspektive einer Art besteht die biotische Umwelt im Wesentlichen aus anderen Arten, zu denen sie in unterschiedlichen Beziehungen stehen kann, z.B. Nahrungsbeziehungen, Konkurrenz, Mutualismus. (Martin und Sauerborn 2006)
Historische nachhaltige Agrarökosysteme orientierten sich an der Nährstoffrückführung natürlicher Ökosysteme. Nährstoffentzüge wurden durch weitgehende Rückführung der Pflanzenrückstände und des organischen Düngers sowie durch Fixierung und Verwitterung ausgeglichen. Die moderne Landwirtschaft hat die Erträge durch Zufuhr mineralischer Dünger, durch Schädlings- und Unkrautbekämpfung stark gesteigert, dabei aber den Nährstoffkreislauf aufgebrochen und den Energieeinsatz pro erzeugter Nahrungseinheit stark erhöht.
Unterschiede von Agrarökosystemen gegenüber natürlichen Ökosystemen in einer ähnlichen abiotischen Umwelt:
- weniger komplex hinsichtlich der räumlichen Organisation seiner organischen Komponenten
- geringere Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten
- geringere genetische Diversität der Kulturpflanzen
- Vereinfachung der Nahrungskette und Verkleinerung der trophischen Ebenen auf zwei, höchstens drei
- größere Biomasse großer Herbivorer
- weniger pflanzliche Biomasse gelangt über die detritische Nahrungskette in den Boden wegen der Abschöpfung in Form von Nahrungs- oder Futtermitteln
- das Prinzip des Stoffkreislaufs des natürlichen Ökosystems durch Ernte und Verkauf der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aufgebrochen
- der Erhalt des Systems ist auf externe biotische Inputs, d.h. die Erneuerung der Kulturart durch Saatgut, angewiesen
- Unterbrechung des natürlichen Nährstoffkreislaufes
- häufig anfälliger für Störungen oder Zerstörung durch extreme Umweltbedingungen wie Dürre, Frost, Krankheitserreger
- wesentlich offenere Systeme:
- Anzahl und Volumen der Einträge und Austräge sind größer
- Futtermittel werden in Betrieb A produziert und in Betrieb B verwertet
- Vieh wird in Betrieb C aufgezogen und in Betrieb D gemästet - mögliche Überlastung eines Systems durch Eintrag von überschüssigem Dünger oder Pestiziden
- fehlende Fähigkeit sich auf der Basis der bestehenden systeminternen Regulationsmechanismen selbständig zu erhalten, vielmehr angewiesen auf anthropogene Steuerung
Die Agrarökosysteme der Gegenwart sind das Ergebnis einer Entwicklung in mehreren Phasen, die sich als horizontale Expansion (Umwandlung bis dahin nicht landwirtschaftlich genutzter Flächen in Acker- und Grünland) und später als vertikale Expansion (rationelle Bodennutzung unter dem Einfluß von Marktmechanismen und Technikentwicklungen) beschreiben lassen. (Agrargeschichte)
Teilweise wird der Begriff Agrarökosystem, wohl in Anlehnung an die lateinische Herkunft (ager, Acker), enger gefasst und bezieht sich nur auf Ackerbausysteme. (Martin und Sauerborn 2006)